Scham ist ein Ruf
Nach links, nach rechts, Hauptsache weg – die Wangen gerötet und
das Gefühl, am liebsten in Grund und Boden versinken zu wollen.
Hier schreit: die Scham. Aber was ist das überhaupt, die Scham?
Was können wir von ihr lernen und wann muss sie die Seite
wechseln?
scham//los – was wir wollten
Damit haben wir zum Open Call aufgerufen. Und jetzt – nachdem wir
alle Texte gelesen haben? Diese Ausgabe ist a lot. Das ist Teil
davon, wenn man eine Ausgabe unter dem Thema „scham//los“ fasst,
aber: Irgendwie ist das genau das, was wir wollten. Diese Ausgabe
fordert, fordert heraus, tut weh – und sie heilt.
Wofür und warum?
Wir haben uns nach dem ersten Heft intensiv gefragt, was wir
hiervon wollen und dürfen. Zeitgleich kam dieses Jahr ein Ruck
durch eine befreundete Literaturzeitschrift, mit der Grundfrage:
„Wofür und warum?“ Müssen wir unsere Existenz als oder im
Kulturbetrieb rechtfertigen, und wenn ja, wodurch?
Unsere Antwort
Unsere Antwort nimmt langsam Gestalt an, doch die Form lässt sich
nicht setzen, ohne Kontext zu geben. Unsere Antwort lautet wie
folgt: Wir wollen ehrlich, irgendwie roh, divers und menschlich
sein. Wir wollen emotional sein, radikal emotional, eine Form
emotionaler Reife stärken. Wir wollen Emotionalität drucken, leben,
teilen. Einen Raum schaffen, in dem Emotionen sicher physisch
erlebbar sind.
Politik der Sichtbarkeit
In einer Gesellschaft, in der Stimmen immer wieder danach
schreien, bestimmten Gruppen Teilhabe sowie Möglichkeiten zu
verwehren oder ihre Existenz unterstützenden Rechte zu begrenzen,
ist es eine Pflicht, zu benennen, zu bestimmen, sichtbar zu
machen – besonders hier in Thüringen. Wir wollen
stimmengebend-Weiterdenken-RedenmitDirbis(–)Verständnis.
Kurs aufnehmen
Mit der Vergrößerung unserer Redaktion haben wir ein erstes,
großes emotionales Thema gewählt und damit Kurs bestimmt und
aufgenommen. Die Auswahl an Texten, Prosa, Lyrik und den Collagen,
die wir nun bei uns haben, wollen wir genau in diese Wirkrichtung
setzen.
Bevor ihr lest
Wir wollen euch das aber alles nicht einfach so vor die Füße
werfen, deswegen: Dieses Heft enthält Texte, die sich mit Körpern
beschäftigen, mit Essen, Schwangerschaft (und Verlust), Drogen und
Sucht, Sex (oder den Worten dazu), Nacktheit und Blut. Sucht euch
also einen ruhigen Ort zum Lesen, und vor allem andere Menschen,
die euch auffangen, wenn die kommenden Texte etwas in euch
anstoßen. Habt keine Scham davor, nach Hilfe zu fragen.
Danke
Wir sind unseren Autor:innen unendlich dankbar, dass sie sich der
Aufgabe gestellt haben, für diese Ausgabe ein oder mehrere Werke
zu produzieren, und dankbar allen, die sie lesen. Wir, die
Autor:innen des Editorials, sind zeitgleich all den neuen Menschen
dankbar, die mit uns dieses Projekt und den Kurs mitgehen und den
Weg ermöglichen.